Ein Blatt Papier ...
... ist das Ergebnis aus 10 Jahren Arbeit. Zumindest aus physischer Sicht.
Wie Ihr seht, bin ich durch.
- Den Bachelor in Informatik an der FernUni Hagen nach 4,5 Jahren im Wintersemester 13/14.
- Nach einer kurzen Orientierungsphase, ob ich noch den Master dranhänge und wenn ja in welchem Fach, der Master in Wirtschaftsinformatik nach 3 Jahren.
Meine erste Prüfung (1141) schrieb ich am 29.08.2009 um 10:00 Uhr an der Uni Köln. Die Benotung meiner Abschlussarbeit lag am 22.02.19 im Briefkasten. Meine Matrikelnummer werde ich wohl eine lange Zeit nicht vergessen.
Ich werde oft nach meinem Studienverlauf gefragt. Vielleicht lohnt es sich, wenn ich ihn einmal schriftlich darlege. Evtl. könnt Ihr den ein oder anderen Hinweis mitnehmen.
Zugangsprüfung und Bachelor
Mein erstes Zeugnis der FernUni bekam ich in 2010 über die bestandene Zugangsprüfung, die für alle ohne Abitur, aber mit beruflicher Qualifizierung (Ausbildung plus 3 Jahre Berufserfahrung) zwingend notwendig war. Innerhalb eines Semesters musste ich mir das Abiturmathe und die Themen des gefürchteten Moduls 1141: Mathematische Grundlagen von Prof. Luise Unger neben der Arbeit einprügeln. 5:00 Uhr aufstehen, 3 Stunden lernen und ab auf die Arbeit. Zu Hause angekommen dann das gleiche Bild bis spät Abends. Bücher, Videos, Tutorien, Lerngruppen. Letztere dezimierten sich im Laufe des Semesters auf einen einzigen Kommilitonen, mit dem wir uns regelmäßig trafen. 29.08.2009 war es dann soweit.
Vor keiner schriftlichen Klausur hatte ich so viel Respekt, wie vor 1141. Ergebnis waren magere 32 von 80 Punkten. Davor standen da 29, die dann durchgestrichen waren. Eigentlich eine 5,0. Aber in diesem Semester wurde die Bestehensgrenze auf 30 Punkte runtergesetzt, da sonst kaum 20% der Klausurteilnehmer bestanden hätten. Und anscheinend hat sich an diesem Umstand auch in 2017 nicht viel verändert. Eine Überarbeitung der Skripte wäre hier wahrscheinlich zielführender. Aber dafür bietet der Lehrstuhl mittlerweile mehr Tutorien an. Mein Kommilitone hatte damals 28 Punkte erzielt und brach daraufhin das Studium ab. Wer weiß, ob ich weitergemacht hätte, hätte ich 1141 damals nicht bestanden.
"Jetzt erst recht!" war mein Motto als ich den Bescheid über den Leistungsnachweis in den Händen hielt, was mich anschließend bei 1142: Algorithmische Mathematik zu einer 1,7 brachte. Eine wunderbares Skript von Prof. Hochstätter, eine faire 150% Klausur und einem Studenten in der Klausurstatistik, der 120% erreicht hatte. Hier lernte ich einen weiteren Kommilitonen kennen, der mir gezeigt hat, dass man sich selbst nie als Leistungsreferenz heranziehen sollte. Bachelor und Master in Vollzeit-Studienzeit neben Beruf, Frau und Kindern. Alle Klausuren 1,3 oder besser. Fast einen Bachelor-Abschluss mit Auszeichnung, wenn die theoretische Informatik nicht gewesen wäre.
01657/01658: theoretische Informatik. Ein Pflichtmodul im Bachelor. Besteht aus 2x5 ECTS, d. h. ein einzelnes Modul, welches mich so auf Trab gehalten hat wie 1141. Der Stoff war für mich so schwer verdaulich, dass ich es auf 2 Semester splitten musste. Während bei anderen Modulen durchaus 30 ECTS pro Semester möglich gewesen sind, weil sie didaktisch gut aufgebaut waren.
So schaffte ich - und zu meiner Verteidigung war ich nicht der Einzige - nur 5 ECTS in den nächsten 2 Semestern. Aber es gab keine Weg daran vorbei und ich schob den Pflichtkurs bis es nicht mehr ging vor mir her. Hier sah ich zuerst die negativen Seiten einer FernUni. Auch wenn Du meinst, etwas verstanden zu haben, wenn Du es nicht schaffst es in den richtigen Worten - Mathematik ist präzise und schnörkellos - zu erklären, hilft Dir dein Verständnis nichts. Ergebnis war eine 3 vor dem Komma. Was aber keinesfalls meinen Aufwand rechtfertigt. Dafür hat die 3 aber sehr stark zum Inhalt des Blogs beigetragen und, sofern man den Kommentaren Glauben schenken kann, dem ein oder anderen beim Kurs geholfen. Also alles gut.
Nach der Anerkennung des Fachpraktikums kam das Seminar. Mein Seminarpartner und ich arbeiteten das Inhaltsverzeichnis aus und teilten die Themen auf. Bei der Besprechung der Ergebnisse zwei Wochen vor dem Präsentationstermin und nach ca. 4 Wochen Bearbeitungszeit ließ mich mein Kommilitone wissen, dass er kaum Zeit gehabt hatte an den Themen zu arbeiten und ob ich seinen Teil in den zwei Wochen nicht auch noch schreiben könnte. Auf die Frage, was er denn bis dahin gemacht hatte und auf was ich aufbauen könnte kam ein "Nichts!". Ende vom Lied: ich durfte meinen Part alleine Präsentieren und mein Partner ließ sich aus dem Seminar streichen. Das war die einzige, negative Erfahrung im ganzen Bachelor-Studium.
Ansonsten war für mich in den Informatik-Kursen die Betreuung vorbildlich (01618: der Betreuer scheint nie zu schlafen, musste nie länger als 2 Stunden auf Antwort warten), die Skripte größtenteils gut verständlich, die Kommilitonen sehr hilfsbereit und die Klausuren an einem Samstag.
Wirtschaftsinformatik statt Informatik
Etwas getrieben durch die eingeschränkte Modulwahl in der Informatik hatte ich mich für den Master in Wirtschaftsinformatik eingeschrieben. Und hier begann die Odyssee.
Klausuren unter der Woche. Bedeutet: Urlaub nehmen. Viele Module mit sehr, sehr viel Fließtext zum auswendig lernen. Teilweise redundante oder widersprüchliche Aussagen. Betreuung kaum vorhanden, oft wochenlang keine Reaktion auf Fragen. Bekanntmachung von Adobe Connect Räumen teilweise keine 2 Minuten vor Besprechungsbeginn.
Die Klausureinsicht gestaltete sich deutlich unergiebiger, als bei den Informatikern. Bei dem Einspruch wurden die Punkte bei den Informatikern noch einmal im Telefongespräch oder per Webcam erläutert. Sobald man nachvollziehbar etwas darlegen konnte, gab es eine Korrektur. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern bekam ich auf meinen Einspruch einen mehrseitige Begründung zurück. Dort wurde nicht teilweise auf meine Begründungen eingegangen, sondern es wurden neue Fehler gefunden und diese zerlegt. Nach dem Motto "Sei froh, dass es nicht schlimmer kam!".
Die Begründung wurde auch nicht von der Prof. verfasst, sondern von einer Mitarbeiterin, mit der ich auch ein Telefongespräch hatte. Essenz des Gesprächs war: "Isso". Ich ließ hier nicht locker und verlangte ein Gespräch mit der Professorin, der ich meinen Standpunkt darlegte (widersprüchlich gestellte Frage, meine Antwort war gültig). Sie konnte meinen Einwand dann nachvollziehen und fand meine Antwort richtig, blieb aber bei ihrer Meinung, meiner Arbeit die 2 Punkte nicht zukommen zu lassen, weil: "Es wäre den anderen Studenten gegenüber unfair, die keine Klausureinsicht gestellt hätten.". Mund abputzen, weitermachen.
Das Seminar hat mich dann vollends umgehauen. Meine erste 5 in 10 Jahren Studium. Mich beschlich das Gefühl, dass es nicht um die Sache geht, sondern um reinen Formalismus. Alles dreht sich um sich selbst. Die anschließende Ergebnisbesprechung brach Ernüchterung. Zu viele Bücher zitiert? Fachfremde Literatur für eine grundsätzliche Definition herangezogen? Zu viele Aufzählungen? Alles Fehler, die zu einer 5.0 führten. Inhaltliche Kritik? Keine.
Aufgrund der Regel, dass Seminar und Arbeit an einer Fakultät geschrieben werden mussten und ich meine Arbeit bei den Informatikern schreiben wollte, suchte ich Rat bei dem Prüfungsamt der MIs. Diese halfen unglaublich unbürokratisch und mein Prof., der eigentlich aufgrund von Mittelstreichung keine Arbeiten mehr betreut, nahm sich meiner Arbeit und meinem Themenvorschlag an. Selbst einen Zweitbetreuer von einem fremden Lehrstuhl konnte er organisieren, um der Prüfungsordnung zu genügen. War aber letztendlich nicht notwendig, da mein Fachpraktikum bei den Informatikern durch Berufsleistungen anerkannt wurde. So wurde mein Fehler, Wirtschaftsinformatik zu wählen, durch die Informatiker an der FernUni wieder ausgeglichen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Fast wären min. 4 Jahre Studium umsonst gewesen.
Nicht selten war ich kurz davor, WiInf eben WiInf sein zu lassen, den Aufwand der geschriebenen Klausuren ab- und mich in die Informatik wieder einzuschreiben. Der positive Eindruck des Fernstudierens beim Bachelor-Studium löste sich innerhalb kürzester Zeit in Luft auf.
Lerntechniken
Ich bin ein ineffizienter Lerner. Es gibt sicherlich deutlich bessere Methoden, sich etwas beizubringen. Für mich hat sich folgende Herangehensweise bewährt:
- Zu Semesteranfang tragt euch das Datum der Klausur t in den Kalender ein.
- Dann markiert das Wochenende drei Wochen vor der Klausur, also t-3 Wochen. Dieses Datum ist der Punkt, an dem Ihr die Anki-Lernkarten fertig haben müsst.
- t-3 bis t-5 Wochen ist der Zeitraum für die Lernkarten
- t-5 bis t-heute ist der Zeitraum für die Erstellung der Zusammenfassung. Teilt die Anzahl der Seiten des Skripts durch die verbliebenen Wochen bis zum heutigen Datum und Ihr habt die Anzahl der Seiten, die Ihr pro Woche zusammenfassen müsst.
Die grundlegende Taktik ist: Jede Woche eine bestimmte Anzahl an Seiten zusammenfassen. Aus dieser Zusammenfassung extrahiert Ihr Lernkarten. Diese lernt Ihr dann 3 Wochen vor der Klausur.
Nach der Erstellung der Lernkarten solltet Ihr ca. 75% des Stoffs bereits verinnerlicht haben.
Bei mündlichen Prüfungen solltet Ihr euch einen Kommilitonen holen, dem Ihr den Stoff erklärt. Näher kommt ihr nicht an die Klausursituation. Habt Ihr niemanden zum erklären, schreibt es auf. Sonst ergeben die Worte in eurem Kopf Sinn, aber wenn sie aus eurem Mund kommen, nicht mehr.
Fazit
Regelstudienzeit sind 10 Jahre in Teilzeit. Das sind viele, viele Wochenenden. Es ist die Zeit zwischen der Einschulung und dem Realschulabschluss. Das muss man sich klar machen, bevor man mit dem Studium anfängt. Auch ist und bleibt es eine staatliche Universität mit der entsprechenden Motivation für den Lehrbetrieb, den Studenten das Leben leichter zu machen: nämlich keiner. So sind auch die Skripte. Imperative Programmierung ist ein Negativbeispiel. Algorithmische Mathematik hingegen zeigt, dass es auch anders geht.
Die Klausurstatistik bei den WiWis spricht Bände. Bei den Informatikern sieht das nicht besser aus. Durchfallquoten bis ~60% sind nicht unüblich.
Bei den Abschlusszahlen findet man weitere Informationen. Bei einer Uni mit 77.000 Studierenden machen 695 den Master (davon 13 Informatiker und 0 Wirtschaftsinformatiker in 2017) und 1290 den Bachelor (davon 40 Informatiker und 84 Wirtschaftsinformatiker in 2017) bei 21.500 Neueinschreibungen im Jahr 2017.
Von den vielen Erstis, die ich in Hagen oder den Regionalzentren beim Büffeln für 1141 in 2009 kennengelernt habe, hat keiner bis zum Ende durchgehalten. Das spiegelt auch ein Blog-Beitrag einer Kommilitonin wieder, die von Abbrecherquoten von 70% bis 90% spricht. In den Diplomzeiten verzeichnete die FernUni gar offizielle 90%. Die privaten Hochschulen liegen hingegen bei 20% bis 35%. Das liegt sicher zu einem Großteil an dem flexibleren Studium und der besseren Betreuung. Aber ob ich 1900 EUR / 1100 EUR in Hagen oder 15.960 EUR / 10.500 EUR an der FOM für Bachelor und Master ausgebe, das muss jeder selbst für sich entscheiden.
Und natürlich, ob man gerne einen Uni-Abschluss erwerben möchte, oder der FH-Master aufgrund der Gleichwertigkeit der Abschlüsse zwischen FH und Uni reicht. Im Gegensatz zum Diplom muss beim "Master of Science" kein "(FH)" mehr angehängt werden. Andererseits darf an einer FH nicht promoviert werden; ein Doktorvater an einer Uni ist zwingende Voraussetzung. Und wenn man den Foren Glauben schenken darf, ist es nicht ganz so einfach einen Doktorvater an einer Uni zu finden, wenn man "nur" einen FH-Master vorweisen kann. Ich denke aber, dass dies mittlerweile überholt ist. Promotionsvorbereitende Studien jedoch könnten auf einen zukommen.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob ich zurückblickend das alles noch einmal auf mich nehmen würde. Würde ich? Ja, würde ich. Kann ich grundsätzlich zu einem Fernstudium raten? Nein, kann ich nicht. Zumindest nicht, wenn man es allein aus dem Blickwinkel der Bildungsrendite sieht.
Bildungsrendite
Oft werde ich gefragt, ob mir das Studium etwas gebracht hat. Meinen Job habe ich nicht aufgrund des Studiums bekommen, sondern aufgrund meiner einschlägigen Berufserfahrung. Die Frage, die sich mir hingegen stellt ist, ob ich so gut in meinem Job wäre, wenn ich nicht studiert hätte.
Es ist nicht vorrangig das erworbene Wissen, das mir hilft. Ich habe mich daran gewöhnt, komplexe Materie in kürzester Zeit alleine verstehen zu müssen. Nichts, aber auch rein gar nichts war in meinen Berufsjahren so frustrierend, wie 8 Tage über einem Absatz im Skript für die theoretische Informatik sitzen zu müssen bis es "Klick" macht. Man ist alleine. Und wenn in der Newsgroup niemand ist, der einem helfen kann, ist man auf sich selbst gestellt. Eine Abkürzung gibt es nicht. Entweder Du verstehst es oder Du kannst dich exmatrikulieren lassen.
Ab diesem Zeitpunkt gibt es auch im Beruf keine Ausreden mehr. Kein "Kann ich nicht" oder "Brauch ich eine Schulung für", egal um was es geht. Diese Sätze ändern sich während des Studiums in "Kann ich noch nicht" und "Bringe ich mir bei".
Daher kann ich nicht sagen, ob mich das Studium beruflich weitergebracht hat. Mangels Zeitmaschine habe ich keine Möglichkeit eine Placebo-Kontrollgruppe einzurichten, um die aussage zu bestätigen oder zu widerlegen. Daher kann ich jedem nur raten, das Studium nicht als Lizenz zum Geld drucken zu sehen, sondern als Hobby. Geld hat eine sehr geringe Halbwertszeit als Motivator und wird keinesfalls 10 Jahre bis zum Master dafür herhalten können. Wer kein Spaß an der Materie hat oder es aus irgendeinem anderen Grund als Geld tut, der wird es sehr, sehr schwer haben, seine Motivation über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Und die ist zwingend notwendig bei dem ein oder anderen Skript.
Und es gibt noch einen Menschentyp, dem ich zu einem Fernstudium nicht raten kann. Solltet Ihr schnell vereinsamen oder euch schlecht alleine motivieren können, bzw. Probleme mit dem Zeitmanagement haben, wird es nicht einfach. Ich hatte Kollegen, die konnten super in Gruppen lernen und brauchten die Geselligkeit. Wenn die Lerngruppe mal einige Wochen lang ausfiel, warf sie das massiv zurück. Hier wäre ein Präsenzstudium oder ein Fernstudium mit regelmäßigen Präsenzphasen besser geeignet.
Dieser Blogpost eines ehemaligen KuWi-Studenten fasst das ganz gut zusammen:
Mich ein ganzes Semester lang mit einem Haufen Stoff „alleine zu lassen“ und mir am Ende eine Prüfungsleistung abzuverlangen ist – mit der Erfahrung, die ich mittlerweile dazu habe – einfach keine besonders zielführende Idee. Diese Art des Studiums entspricht nicht meinem Lernstil, das weiß ich mittlerweile. Ich brauche engmaschigere, konkrete Vorgaben und kleinere Brocken zu mehreren unterschiedlichen Themen. Viel direkteren und unmittelbarerern Austausch mit Kommilitonen. Dazu natürlich – und auch das war ein Lernprozess – brauche ich ganz offenbar „Daten und Fakten“ statt „Theorien und Gedankengänge“.
Update: Ich lasse den Blog wegen der Zusammenfassungen für die theoretische Informatik online, da sie wohl dem ein oder anderen beim Verständnis helfen. Updates wird es (vorerst) nicht geben, sofern ich mich nicht entscheide, weiter akademisch tätig zu sein. Vielleicht stelle ich später auch nur noch die Zusammenfassungen online und entferne die Blogposts, entschieden habe ich mich hier noch nicht.
Was kann ich euch zum Abschluss noch auf den Weg geben? Durchhalten! Es lohnt sich. Schon alleine der Genugtuung wegen, nicht aufgegeben zu haben.